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„Es sind intelligente Leute, aber sie haben sehr schlechte Politiker und eine tragisch brutale Geschichte …“Aktuell liegt auf Deutsch der Roman „Der Russe aus Nizza“ in den Buchläden, geschrieben vom dänischen Top-Autor Leif Davidsen. Passend dazu stand der ehemalige Moskaukorrespondent des dänischen Fernsehens dem Literaturportal schwedenkrimi.de per E-Mail Rede und Antwort. Herausgekommen ist das wohl bis dato politischste Interview des Portals.Literaturportal schwedenkrimi.de: Ihr aktuelles Buch „Der Russe aus Nizza“ spielt größtenteils in Russland. Sie haben selbst als Journalist in Russland gearbeitet. Wann genau und wie lange? Leif Davidsen: Das erste Mal kam ich 1980 als Radioreporter nach Russland und kehrte dorthin einige Male zurück, bevor ich 1984 mit meiner Familie nach Moskau umzog, um von dort als Korrespondent für das dänische Fernsehen zu arbeiten. Wir blieben vier Jahre, doch bin ich als Journalist und als Autor oft dorthin zurückgekehrt. Auch heute reise ich noch oft nach Russland. 2004 habe ich ein Reisebuch über Russland geschrieben. Ich kenne das Land ziemlich gut. Literaturportal schwedenkrimi.de: Was war denn Ihr eindrucksvollstes, vielleicht auch beängstigendes oder seltsamstes Erlebnis während dieser Zeit? Leif Davidsen: Ich denke, das war die Explosion des Tschernobyl-Reaktors 1986 und der drohende Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan über Nagorno Karabach in den späten 80ern. Aber das wohl beeindruckenste und seltsamste Ereignis war, als die Sowjetunion 1991 verschwand. Ein Imperium hörte einfach über Nacht auf, zu existieren. Literaturportal schwedenkrimi.de: Nachdem Sie so viele Jahre als Journalist in Russland verbracht und “Der Russe aus Nizza” geschrieben haben, möchte ich Sie als Experte fragen: Ist der momentane Konflikt zwischen Georgien und Russland der Anfang eines zweiten Kalten Krieges?
Nein. Es ist eine neue geopolitische Situation, denn uns begegnet nun ein stolzeres und stärkeres Russland, das verlangt, in seinen eigenen „Hinterhöfen“ ernst genommen zu werden. Aber der Kalte Krieg ist eine spezifische historische Periode, genau wie der Zweite Weltkrieg, und wird sich nicht wiederholen. Uns begegnet ein anderes Russland, aber das heutige Russland ist auch ein Teil unserer ökonomischen Welt. Es leidet unter den Finanzkrisen genau wie alle anderen auch. Aber der Krieg mit Georgien zeigt auch, dass, obwohl Russland ein Partner sein mag, es doch kein Freund ist und dass wir im Westen einen Weg finden müssen, mit dem russischen Bären klarzukommen, sodass wir auch den schwachen demokratischen Kräften in diesem großartigen Land helfen. Wir müssen streng sein, aber wir dürfen Russland nicht den Rücken zukehren. Literaturportal schwedenkrimi.de: Kam der Konflikt zwischen Georgien und Russland für Sie denn genauso überraschend wie für viele von uns oder hätten wir es wissen können? Leif Davidsen: Nein, nicht wirklich. Georgien war sich seiner selbst zu sicher und hat, indem es mit seinen neuen, von Amerikanern gedrillten militärischen Kräften gerasselt hat, Russland provoziert. Den ganzen Sommer über hat Russland an der georgischen Grenze militärische Übungen abgehalten und nur darauf gewartet, dass Georgien in die Falle tappt, die es in Südossetien ausgelegt hat. Aber es war überraschend, dass Russland soweit gegangen ist, Territorium außerhalb von Südossetien und Abchasien zu okkupieren. Putin hat seine eiserne Faust gezeigt. Jetzt sind sie, da bin ich mir sicher, in Moldawien und der Ukraine nervös, und die baltischen Staaten sehr froh, dass sie vollwertige Mitglieder der NATO sind. Literaturportal schwedenkrimi.de: Gibt es Ähnlichkeiten zwischen dem aktuellen Konflikt und dem Konflikt, den Sie in Ihrem Buch „Der Russe aus Nizza“ beschreiben? Leif Davidsen: Nicht wirklich. Ausgenommen die unvernünftige, rohe Gewalt der militärischen Kräfte, die sowohl ein Teil des neuen Russlands als auch der Sowjetunion und des zaristischen Russlands zu sein scheint. Literaturportal schwedenkrimi.de: Müssen wir (wieder) Angst vor Russland haben? Leif Davidsen: Nein. Russland ist keine Supermacht, aber Russland hat beachtliche Energieressourcen, die es als strategische Waffe nutzt. In Europa werden wir lernen müssen, mit dem Faktum umzugehen oder wir werden wieder und wieder eingeschüchtert werden. Russland befindet sich noch immer in einem Übergang von einer Diktatur zu einer Demokratie, aber ich weigere mich, zu denken, dass die Demokratie dort keine Chance hat, auch wenn es momentan sehr dunkel aussieht. Russlands militärische Kapazitäten sind nach wie vor recht schwach verglichen mit denen der NATO, und sie sind ja auch in Moskau keine Idioten, aber sie versuchen permanent, unsere Schwäche zu sondieren. Ihr Ziel ist es, die EU und Europa von den USA zu entzweien und das gelingt ihnen ziemlich gut. Literaturportal schwedenkrimi.de: Was wäre Ihre Empfehlung: Sollten wir mehr Verständnis für Russland zeigen oder sollten Europa und die NATO Härte gegenüber Russland beweisen? Leif Davidsen: NATO und EU sollten Entschlossenheit zeigen und konsequent sein und verlangen, dass Russland endlich das umsetzt, was es selbst vertraglich zugesichert und unterschrieben hat. Literaturportal schwedenkrimi.de: Was ist das größte Missverständnis, das wir Europäer in Bezug auf Russland haben?
Leif Davidsen: Dass sie genauso sind wie wir. Literaturportal schwedenkrimi.de: Wird Russland jemals eine Demokratie ähnlich denen der westlichen europäischen Staaten werden? Leif Davidsen: Hoffentlich. Warum nicht? Es sind intelligente Leute, aber sie haben sehr schlechte Politiker und eine tragisch brutale Geschichte, die sie nie bewältigt und mit der sie nie ihren Frieden gemacht haben. Sie müssen sich mit Stalin in ihrer Geschichte auseinandersetzen, dem Stalin in ihnen selbst, um eine normale Demokratie zu schaffen. Das wird Zeit brauchen, aber ich hoffe, dass nachfolgende Generationen dem besser gewachsen sein werden, weil sie – sozusagen – eine andere Software in ihren Köpfen haben als ihre Eltern, die noch immer viel sowjetischen Müll und Misskonzepte in ihren Köpfen mit sich herumtragen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Für jemanden, der noch nie in Russland war, erscheint das Land von außen betrachtet sehr brutal, roh und heruntergekommen. Was fasziniert Sie so an Russland? Leif Davidsen: Das kann ich nicht in ein paar Sätzen erklären. Ich habe ein ganzes Reisebuch auf diese Frage verwendet sowie darüber in etlichen Novellen und zahllosen Radioprogrammen nachgedacht und ich habe noch immer nicht eine kurze Antwort darauf gefunden. Das Land ist groß, es ist anders und es IST einfach da. Literaturportal schwedenkrimi.de: Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit sogenannten Oligarchen wie Viktor T. aus „Der Russe aus Nizza“ gemacht? Leif Davidsen: Ich habe einige von ihnen im Rahmen einer TV-Dokumentation besucht und ich habe über ihr Leben und ihre Karrieren nachgeforscht. Literaturportal schwedenkrimi.de: Sind Biographien wie die von Nathalie und Sinaida durchaus „typisch“ zu nennen oder haben Sie sie für den Roman sehr „dramatisiert“? Leif Davidsen: Was ist „typisch“? Das Schicksal Tausender Tschetschenen ist tragisch und blutig. Das Leben von Nathalie und Sinaida ist also leider sehr real. Literaturportal schwedenkrimi.de: Der „typische“ skandinavische Krimiautor arbeitet in der Regel mit einem Seriencharakter, meist ein etwas älterer Kommissar … Marcus Hoffmann ist kein Seriencharakter, wie Sie überhaupt selten mit dieser Art von Konzeption arbeiten. Warum? War das eine bewusste Entscheidung, um sich von den Kollegen zu differenzieren? Leif Davidsen: Ja. Ich verstehe nicht, wie sie das machen. Ich könnte das niemals. Ich glaube, die Schweden machen das, weil Sjöwall/Wahlöö es getan haben, und sie sind die Ikonen für viele der skandinavischen Krimiautoren. Literaturportal schwedenkrimi.de: Herr Davidsen, wir danken sehr für das ausführliche Interview und dass Sie Ihre umfassenden Kenntnisse über Russland mit uns geteilt haben! Autorin: Alexandra Hagenguth/ © November 2008 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
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