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"Das Schiff" von Stefán MániDie Pforten der Wahrnehmung
Ist es ein Kinofilm?
Zur Handlung: Neun Seeleute werden vorgestellt, die mit dem Frachtschiff „Per se" von Grundartangi nach Surinam fahren sollen, um von dort Bauxit für die Aluminiumgewinnung nach Island zu holen. Aluminium, das der neue Reichtum der Insel ist. Neun Seeleute, die alle mehr oder weniger innere Teufel in sich tragen. Zum einen wird uns Ársæll Egilson „Sæli", vorgestellt. Sæli ist Spieler und hat horrende Spielschulden. Er wird von jemand, der sich Satan nennt, dazu erpresst, Rauschgift von Surinam nach Island zu schmuggeln. Dann gibt es die Seeleute Jóhann Pétursson, Maschinenmeister; Ási, den Koch; den Bootsmann Rúnar Hallgrímsson und den Ersten Steuermann Ísak Sigurðsson. Diese vier treffen sich vor der Abfahrt des Schiffes, um Pläne gegen ihre (wahrscheinliche) Entlassung zu machen. Dazu gehört auch die Verabredung zu einer Meuterei als letztes Mittel. Ísak ist, wie man in der weiteren Geschichte erfährt, Alkoholiker. Er flüchtet damit vor der Leere, die er fürchtet. Auf dem Schiff hat Ísak Sigurðsson Pflichten zu erfüllen. Er hat eine Aufgabe. Er weiß, was er tun muss und wie er es tun muss, ist Teil einer gut organisierten Einheit. Er hat die Aufgabe, einen bestimmten Raum auszufüllen, eine bestimmte Leere zu füllen. Ohne Arbeit kann er nicht überleben. Ohne dieses viertausend Tonne schwere Stahlungetüm ist er wie ein Zahnrad ohne Antrieb. Jónas Bjarni Jónasson, der Zweite Steuermann, ist von einem besonderen Dämon besessen. Kurz vor der Abfahrt des Schiffes, tötet er seine Frau und verscharrt sie am Strand des Hvalfjörður. Ab diesem Zeitpunkt versinkt er in religiösen Wahnvorstellungen. Guðmundur Berndsen, der Kapitän, steht vor dem Ende seiner Ehe. Aber es ist nicht das Meer, das sie voneinander trennt, sondern der Tod. Der Tod ihrer Tochter. Das Meer ist nur ein Symbol für die düstere Ödnis, die der Tod in ihrem Leben hinterlassen hat. Eine düstere Ödnis aus Sprachlosigkeit. Dann gibt es noch Óli Johnson, welcher der Heizer genannt wird, weil er vom Teufel und all seinen Dämonen besessen ist. Ein stinkender Beelzebub, der sich jedes Mal, wenn man sich über ihn aufregt oder versucht, Böses mit Bösem zu vergelten, teuflisch amüsiert. Sabotage - Zerstörung des Radars, Satellitenempfängers, des Funks und des Schiffsmotors, machen den Frachter manövrierunfähig, eine Beute des Sturms. Meuterei und ein Piratenüberfall führen zu einem tödlichen Kampf. Alles endet in einer Agonie, als der Frachter langsam und hilflos im Ozean treibt und schlussendlich in der Antarktis, im Wedell-Meer strandet. Die Hauptfigur aber ist eindeutig Jón Karl Esvason, der gleich zu Anfang in eine Doppelgängerrolle gezwungen wird. Er übernimmt an Bord des Schiffes die Rolle von Kalli (Karl), den Schwager des Zweiten Steuermanns, der auf dem Weg zum Frachter getötet wird. Jón Karl, ein Mythos in der Unterwelt Reykjaviks, mit dem Beinamen „Satan", wird von einer weiteren Größe der Unterwelt, von Óðinn R. Elsuson, gejagt und kann sich gerade noch auf den Frachter „Per se" retten. Das Letzte, was Óðinn R Elsuson sieht, bevor das Frachtschiff in der düsteren Unwetternacht verschwindet, ist der Name, der mit weißer Schrift auf dem Achtersteven gemalt ist: Per se. „Fahr zur Hölle", ruft er dem Schiff und Jón Karl hinterher.
Die Geschichte selbst wird linear erzählt, geradezu konservativ könnte man sagen, aber was könnte geradliniger sein als eine Schiffahrt von Reykjavik nach Surinam? Aber die Erzähltechnik knüpft Knoten in diese Linie, je länger sie sich fortbewegt. Man kann anfügen, dass diese Erzähltechnik sehr technisch ist. Wenn es einen Wechsel in der Erzählperspektive zwischen simultanen Szenen gibt, wird die Anzeige einer Uhr gebraucht; wenn sich das Schiff in die Abgeschiedenheit des Ozeans hinausbewegt, der Sextant im Gebrauch ist, kann der Leser dem Abdriften des Schiffes anhand präziser Koordinaten folgen. Die Zeit ist aufgehoben. Spielt keine Rolle mehr. Ein Tag folgt dem anderen in seiner düsteren Trostlosigkeit. Die „Entwöhnung" in der Erzählung, durch ständigen Perspektivwechsel, Rücksprüngen und verschiedenen Erzählfäden funktioniert gut und ermöglicht es dem Autor mit seinen Figuren zu spielen, indem er den Fokus von einem zum anderen verschiebt. „Das Schiff" ist Stefán Mánis siebtes Buch. Sein erstes Buch „Dyrnar á Svörtufjöllum" auf Deutsch „Die Tür in den schwarzen Bergen" veröffentlichte er 1996. Bevor er Schriftsteller wurde, arbeitete er in einer Fischfabrik in dem kleinen Ort Ólafsvik auf der Snæfellsnes-Halbinsel, wo er aufgewachsen ist, dachte über sein Lieblingsprojekt nach - ein Buch in seiner Freizeit zu schreiben - während er gefrorene Fischfilets einpackte, unsicher ob sein Buch für irgendjemand sonst von Interesse sein würde und ob es sich bezahlt machen würde, seinen Job für seinen Traum, ein Schriftsteller zu werden, zu kündigen. Schließlich entschied er sich dazu, verließ die Fischfabrik und fuhr mit dem Manuskript in einem Umschlag nach Reykjavik. Stefán Máni traf die richtige Entscheidung. Sein Buch wurde veröffentlicht und zehn Jahre später, im Jahr 2006, erschien das von der Kritik gefeierte und mit dem isländischen Krimipreis ausgezeichnete „Skipið". „That is not dead which can eternal lie". Dieser Satz aus H.P. Lovecrafts „Necronomicon" könnte das Leitmotiv dieses Buches sein und wird auch des öfteren im Roman zitiert (Was ewig schläft, ist nicht tot). Wobei die Zitate zu Lovecraft in „Das Schiff" zahllos sind. Man denke nur an den Tintenfisch, der an der Scheibe klebt und den Kapitän mit einem toten Auge anglüht, Dabei kommt einem unweigerlich das Tintenfischhaupt der Sagengestalt „Cthulhu" in den Sinn. In seiner Monographie „Supernatural Horror in Literature" diskutiert Lovecraft die ästhetische Theorie der Gruselgeschichte. Er betont, „die echte Gruselgeschichte" muss, mit einer Ernsthaftigkeit und Ungeheuerlichkeit, die dem Thema angemessen ist, jene entsetzliche Vorstellung des menschlichen Gehirns andeuten, nämlich eine unheilvolle und sonderbare Aufhebung oder Annullierung jener festen Naturgesetze, die unser einziger Schutz gegen die Angriffe des Chaos und der Dämonen aus dem unergründlichen All sind. In einem weiteren Essay „Notes on Writing Weird Fiction" wirft er Licht auf die eigene Schreibweise: „Beim Schreiben einer Gruselgeschichte bin ich immer sorgfältig um die Schaffung der rechten Stimmung und Atmosphäre bemüht, sowie um die richtige Akzentuierung. Ein Bericht über unmögliche, unwahrscheinliche oder unfassliche Phänomene lässt sich (wirkungsvoll) nicht wie eine herkömmliche Erzählung mit sachlicher Handlung und konventionellen Gefühlen darbieten. Unbegreifliche Vorfälle und Umstände müssen ein besonderes Handikap überwinden, und dies ist nur dadurch zu erreichen, dass man in jeder Phase der Geschichte einen sorgsamen Realismus bewahrt, außer in jener, die an das besagte Wunder rührt. Dieses Wunder will sehr eindrucksvoll und wohlabgewogen geschildert sein - mit einer sorgfältigen emotionaler „Steigerung" -, ansonsten wird es platt und nicht überzeugend wirken. Warum zitiere ich diese Passagen? Wenn man „Das Schiff" liest, fällt einem sofort auf, wie genau und penibel Stefán Máni den Frachter „Per Se", die klaustrophischen Auf- und Abgänge, die engen Gänge, die Maschinenräume, die Schiffsmotoren und die verschiedenen Decks, alle Tätigkeiten auf das Genaueste beschreibt. Man denke nur an die Auflistung, was der Schiffskoch an Nahrung gebunkert hat. In „Das Schiff" gibt es so viele Details, dass der Leser tatsächlich das Gefühl hat, an Bord des Frachters zu sein; strampelnd, um das Gleichgewicht in der turbulenten See zu halten, die Gischt der See im Gesicht zu spüren, der Geschmack des Salzes auf den Lippen und den Brechreiz, der im Magen anwächst. Das Herz schlägt bis zum Hals aus Furcht vor den dubiosen Charakteren, die im Schatten lauern und die Mannschaft terrorisieren. In dieser Phase der Geschichte, der anderen, wie Lovecraft schreibt, muss die Geschichte einen sorgfältig bewahrten Realismus erreichen. Die unbegreiflichen Vorfälle und Umstände bilden eine von allen anderen Storyelementen gesonderte Kategorie und können durch bloße herkömmliche Erzählweise nicht überzeugend gestaltet werden. Sie müssen das Handikap der Unglaubwürdigkeit überwinden und dies kann nur durch Realismus erreicht werden. Und weiter schreibt er: die Charaktere sollen darauf reagieren, wie wirkliche Menschen auf etwas Derartiges reagieren, wenn sie plötzlich im Alltag damit konfrontiert würden. Sie sollten das seelenzerrüttende Staunen zeigen, das normalerweise jeder zeigen würde... Das heißt, auch für „Das Schiff", mit seinem verstörenden und vieldeutigen Schluss, dass, wenn man bei einer Geschichte mit extremen Realismus zu Werke geht, gelingt der unerlässliche Rahmen der Glaubwürdigkeit viel eher, denn erscheint in der Story alles natürlich und glaubhaft, wird man geneigt sein, in dem unnatürlichen Element ein Abweichen von der erwarteten Realität zu sehen, das sich in einer realen Welt ereignet. Für Lovecraft stellt das Unbekannte das wirkungsvollste furchtauslösende Element der Gruselgeschichte dar. „Das älteste und stärkste Gefühl der Menschheit" - argumentiert er ebenfalls in „Supernatural Horror in Literature" - „ist die Furcht, und die älteste Furcht ist die Furcht vor dem Unbekannten". In seinen „Notes on Writing Weird Fiction" führt er dies weiter aus und hebt hervor: „Diese Geschichten betonen häufig das Element des Horrors, weil die Furcht unser tiefstes und stärkstes Gefühl ist und jenes, das sich am besten zur Schaffung der Natur hohnsprechender Illusion eignet. Horror und das Unbekannte oder Sonderbare gehören immer eng zusammen, so dass es schwer fällt, ein überzeugendes Bild zertrümmerter Naturgesetze oder kosmischen „Veräußertseins" und „Außenseitertums" zu schaffen, ohne dabei das Gefühl der Furcht zu betonen". Zum Schluß noch ein Zitat aus „Das Schiff", aus einem Streitgespräch zwischen dem Heizer und Jón Karl. Die beiden diskutieren über den Teufel, Gott, das Sein und das Nichts, die Welt und die Diskussion mündet in der alltäglichen Erkenntnis: „Leben ist Schmerz und Angst". „Doch ihr Tag wird kommen. Der Tag, an der sich das Tor öffnet und die todgeweihte Menschheit endlich die fürchterliche Wahrheit begreift. Dann werden die kurzsichtigen Menschen von einem bösen Traum erwachen, denn das Schiff, das sie in eine bessere Zukunft führen sollte, fährt seit vielen tausend Jahren im Kreis. Es ist ein Schiff der Toren, von Toren gesteuert, die in die Sonne schauen und die Strömungen im Meer der Ewigkeit ignorieren - ..." Und der letzte Satz im Buch: „Meister!", ruft der Heizer, verbeugt sich tief und macht die Tür weit auf..." Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen © Februar 2009 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
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