Leseprobe
Kapitel 1
Dunkelrotes Féline
Harjunpää war sich sicher, dass es in der
Wohnung keine Katze gab. Er wusste bereits, was los war, sagte es dem
Nachbarn aber nicht, diesem Mann mit den dunklen Augenbrauen, der nach
Bier roch. Ausdruckslos hörte er sich dessen Beteuerungen an und
verfolgte dabei gleichzeitig, was in der Wohnung hinter ihm geschah
(Thurman ging an seine Tasche, die Schnalle knackte, Onerva diktierte
den Bericht auf Band). Gleichzeitig hörte er den Lärm im Treppenhaus,
der entstand, weil Leute Türen aufmachten, um auszukundschaften,
was vor sich ging, und bei all dem gelang es ihm auch noch, auf die
Mitteilungen des rauschenden Funkgeräts in seiner Brusttasche zu
achten, doch es rief ihn niemand. Er musste sich gerade geirrt haben.
».aus reiner Menschlichkeit, damit sie nicht vor Hunger schreit. Und
wie ich schon gesagt habe, ich könnte sie wenigstens vorübergehend
nehmen.«
»Nun hören Sie schon auf«, sagte Harjunpää. »Das ist
schlicht und einfach nicht möglich.«
Er hatte das Angebot als unnötig abgelehnt, zweimal schon, und
wartete eigentlich nur noch darauf, von unten Stimmen zu hören,
die nach ihm verlangten. Er stand nicht zuletzt deshalb in der Tür,
damit niemand in die Wohnung eindrang, denn die Tür stand einen
Spalt weit offen, sodass der Durchzug den schlimmsten Gestank aus dem
Fenster trieb und es drinnen leichter auszuhalten war.
»Es gibt hier wirklich keine Katze und auch sonst kein Tier. Aber trotzdem
vielen Dank. Und falls ich noch Fragen habe, läute ich bestimmt
bei Ihnen.«
Er sah dem Mann scharf in die Augen. Seine Kinder Pauliina und Valpuri
wären bei dem Anblick weggelaufen und hätten sich beschwert:
»Jetzt hat er wieder die Polypenaugen«, aber der Mann kam nicht auf
die Idee zu gehen, sondern wandte sich den anderen zu. In der Treppenwindung
waren eine Frau im Bademantel und ein schnauzbärtiger Mann aufgetaucht,
und aus der Wohnung gegenüber spähte jemand durch den Türspalt,
dessen Gesicht ebenso grau war wie die Wände im Flur.
»Hier wird anscheinend behauptet, dass unsereiner lügt«, fing der
Mann wieder an. Harjunpää seufzte und wischte sich über
die Stirn. Es war immer noch heiß, obwohl der Abend so weit fortgeschritten
war, dass irgendwo schon die Erkennungsmelodie der Nachrichten ertönte.
Es war schwülwarm, wie wenn die Erde nach einem Gewitterregen dampft
oder wie in einer schlaflosen Nacht, in der die üblen Gedanken
erwachen und zu wachsen beginnen und irgendwo zu Taten werden.
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».sich selbst nur Buttermilch und trockenes Brot, das zum halben Preis,
aber für sein Lakritze-Peterchen hat er immer Féline genommen,
das in der dunkelroten Dose, das war angeblich das Beste«, erklärte
der Mann, und Harjunpää wurde klar, dass er die Sache falsch
angegangen war. Er hätte sagen sollen, die Katze sei tot. Aber
auf die Schnelle war ihm das nicht eingefallen. Er wusste auch, dass
der Mann die anderen schnell auf seine Seite bekäme, selbst wenn
sie sich vorerst noch scheuten, irgendwo hineingezogen zu werden. Der
Mann würde sie auf die gleiche Art aufstacheln wie die Boulevardblätter
ihre Leser, wenn sie hemmungslos titelten: »ENTSETZLICHER FUND AUF DER
MÜLLKIPPE - kleines Hündchen eine Woche lang in einer Tüte!«
»Sie hat sich eben versteckt. Aber warten Sie mal, bis es Nacht wird,
dann fängt sie todsicher an. Und wenn eine Katze einen Schock hat
und so richtig maunzt, dann ist das, als ob ein Kind jammert.«
».nimmt die Richtung auf. Und hört jemand von der Gewalt?«
Harjunpää griff nach dem schwarzen Ende der Antenne und zog
das Funkgerät heraus.
»Gewalt hört.«
Er stellte den Empfang lauter und zog sich hinter die Tür zurück.
»Wir sind immer noch in der Vaasankatu. Was ist das Problem?«
»Die Feuerwehr meldet, dass sie einen Rettungswagen zur Kreuzung Koivuniementie
und Niittyranta geschickt hat«, teilte der Diensthabende in der Zentrale
mit. »Aber sie wissen nicht genau, was dort los ist. Sie haben nämlich
zwei Anrufe erhalten - in dem einen war von einem überfahrenen
Fußgänger die Rede, in dem anderen von einem Tötungsversuch.
Die Fünf-Fünf-Eins ist in die Richtung unterwegs. Euch sag
ich das, damit ihr versucht, mitzuhören, für alle Fälle.«
»Wir brauchen hier noch eine Viertelstunde. Aber wir versuchen es.«
»Ende.«
Harjunpää versenkte das Funkgerät wieder in die Tasche
und dachte über die Adresse nach. Sie kam ihm irgendwie bekannt
vor, er merkte, dass er plötzlich ein bisschen peinlich berührt
war, als hätte er etwas versäumt. Allerdings kam er nicht
dazu, sich Klarheit zu verschaffen, was es war, denn Thurman rief ihn,
und fast im selben Moment waren auf den Treppen rasch näher kommende
Schritte zu hören, und ab und zu ertönte auch das Scheppern
der Bahre, die irgendwo anschlug, daher blieb er noch kurz stehen. Die
Frau im Bademantel trat auf ihn zu.
»Wir müssen erfahren, was mit ihr passiert«, sagte die Frau. »Ich
bin nämlich auch bereit, ihr ein Zuhause zu geben.«
»Hat sie jemand von Ihnen denn überhaupt je gesehen?«, fragte Harjunpää
in die Runde, mit einem Mal irgendwie nervös. »Na?«
Die Leute schwiegen. Der mit den dunklen Augenbrauen entgegnete:
»Es war ja nie jemand drin. Aber sie muss schwarz-weiß
sein und Lakritz-Peterchen heißen.«
»Sie muss. Aber niemand hat sie je gesehen, weil sie schlicht und einfach
nicht existiert, die ganze Katze ist ein Hirngespinst«, sagte Harjunpää,
dem das genau in diesem Moment einfiel. »Und jetzt können Sie alle
beruhigt wieder gehen.«
»Nein, verdammt«, fuhr ihn der mit den dunklen Augenbrauen an. »Wenn
ein Mensch wenig Geld hat, warum, zum Teufel.«
Harjunpää ließ ihn nicht ausreden, sondern wies ihn auf die
Seite, denn die Männer vom Bestattungsinstitut hatten die Etage
erreicht. Vorne ging Lahtinen, ein rotgesichtiger, korpulenter Mann,
und hinten ging auch ein Lahtinen, der dünne Lahtinen, der vom
Körperumfang eigentlich normal war, und auf beiden Gesichtern glänzte
der Schweiß, obwohl auf der Bahre vorerst nichts anderes lag als eine
Kunststoffplane und eine graue Filzdecke. Sie nickten und gingen hinein,
Harjunpää zog die Tür zu und folgte ihnen.
Der alte Mann hatte sich mit seinem Gürtel am Griff des Geschirrschranks
aufgehängt. Erstaunlicherweise hatte die Tür gehalten. Was
heißt erstaunlich: Der Alte war dünn, wog bestenfalls an die fünfzig
Kilo. Das sah man an seinen Gliedmaßen. Das Runde von Bauch und Gesicht
täuschte, es war nichts als die Anschwellung durch die Verwesung.
»Heulen die immer noch wegen der Katze?«
»Ja.«
»Hättest du ihnen doch.«
»Immerhin machen sie sich ernsthaft Sorgen.«
»Hör bloß auf.« Thurman holte Atem, und die Lahtinens stellten
die Bahre neben den Füßen des Alten ab, wobei sie darauf achteten,
nicht in die Lache zu treten, und falteten den Kunststoff auf. »Die
machen sich immer ernsthaft Sorgen, wenn sie irgendwo eine einäugige
Taube oder eine hinkende Ente oder einen einsam kläffenden Köter
sehen. Dann wird gleich die Polizei geholt. Am besten noch per Notruf.
Ich finde, Nipa hat das bei der Geschichte mit dem Kampfläufer
ganz richtig gemacht. Oder was für ein Piepmatz das war.«
»Ich habe keinerlei Abschiedsbrief gefunden«, sagte Onerva. Ihr Gesicht
war blass, und die Augen waren müde. Harjunpää dachte,
er hätte doch in der Wohnung bleiben und stattdessen Onerva zur
Befragung der Nachbarn schicken sollen, trotz ihres Widerspruchs.
»Und auch nichts, womit man die Angehörigen ausfindig machen könnte.«
»Der hatte niemand. Seine Frau ist vor mehr als zehn Jahren gestorben,
und der einzige Sohn, der noch lebt, befindet sich als unheilbar krank
in Lapinlahti. Die Frau des Hausmeisters ist die Einzige, die ein bisschen
was über ihn weiß. Er hatte niemand zum Abschiednehmen.«
»Dieser Nipa hatte in der Zentrale Dienst«, sagte Thurman zu Lahtinen,
klappte sein Messer auf und griff zum Gürtel. »Und irgendwann im
Frühling kamen zur besten Stoßzeit mindestens zehn Meldungen, dass
beim Busbahnhof ein Kampfläufer abgestürzt ist, so ein Vogel.
Schließlich musste er eine Streife hinschicken, und die haben Nipa dann
gefragt, was sie da sollen. Er hat gesagt, er nimmt Verbindung mit dem
Dienst habenden Ornithologen des Polizeireviers auf. Er holte sich eine
Tasse Kaffee, und als er zum Funk zurückkam, sagte er, der Ornithologe
hat befohlen, den Kampfläufer hochzuheben und ihm hinten reinzublasen.
Die Männer von der Streife waren noch frisch und kannten Nipa nicht.
Sie haben den Befehl befolgt. Und zwar vor allen Leuten. Und dieser
verdammte Vogel hat einmal gekräht und ist dann glatt davon. Das
Volk hat applaudiert. Aber Nipa ist aus der Zentrale geflogen, weil
einer der Herrschaften zufällig den Funk anhatte.«
Thurman schnitt den Gürtel mit einem Zug durch, gekonnt, nichts
riss, und die Lahtinens verschlossen den Kunststoff mit Tapes; bald
sah man von dem Alten nur noch den grauhaarigen Kopf, und dann auch
den nicht mehr. Thurman ging die Wohnungstür öffnen, und man
hörte ihn im Flur murmeln: ».einen Tag weniger als zwei Wochen.
Und es hat ihn noch niemand vermisst, die Leute eine Etage tiefer sind
bloß unruhig geworden, weil an ihrer frisch gestrichenen Decke Flecken
aufgetaucht sind. Hier sind die Zwischendecken aus Holz. Aber nehmt
die Kampfläufer ernst, Jungs, wenn ihr auf welche trefft.«
»Im Frühjahr hat ihn das Hausmeisterehepaar gedrängt, seine
Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Und er hat sich tatsächlich
auf den Weg gemacht. Aber offensichtlich hat er den Tag nur irgendwo
verbummelt. Am Abend hat er dann erklärt, dass er sich nicht ins
Altersheim abtransportieren lässt. Häusliche Pflege hat er
auch abgeschlagen, weil er doch noch so gut auf den Beinen war. Sie
vermuten, dass er nicht das richtige Amt gefunden hatte.«
»Oder er hatte vor jedem Papierkrieg Angst«, sagte Onerva. »Formulare
habe ich nämlich jede Menge gefunden, alle leer. Und Quittungen.
Denen zufolge hat er tausendfünfhundertdreißig Finnmark bekommen
und davon knapp achthundert an Miete gezahlt.« Sie blickte auf eine
Weise auf den Tisch, dass auch Harjunpää genau hinsah. Und
alles war so, wie er es hinterlassen hatte: Die Buttermilch war zu bloßen
Streifen im Glas eingetrocknet, eine halb aufgegessene Brotscheibe war
hart geworden und bog sich an den Rändern nach oben, auch die braune
Paste, mit der sie bestrichen war, war eingetrocknet, sodass sie kaum
noch vom Brot selbst zu unterscheiden war; ein Messer stand in einer
offenen Konservenbüchse, und auf der Büchse war ein Aufkleber:
»Sonderangebot - 6.90«.
»Eine Dose Rindfleisch in derselben Größe kostet an die dreißig.«
»Gehen wir«, seufzte Harjunpää. »Es gibt auch schon einen
neuen Job.«
»Und die Leute von der Desinfektion?«, fragte Thurman und griff nach
der Schranktür. Er fing an, den Griff loszuschrauben, denn er wollte
auch den Knoten mitnehmen.
»Der Hausmeister lässt sie rein. Sie müssen nur klingeln.
Gehen wir.«
»Nicht so schnell.«
Thurman stieß die Konservendose an, als hätte er sie erst jetzt
bemerkt - oder zumindest erst jetzt begriffen. Er stieß sie so an, dass
die Aufschrift besser zu sehen war, und las:
»Über siebzig Prozent vollwertiges Fleisch. Enthält frisches
Hühner- und Schweinefleisch sowie andere tierische.«
»Lass uns endlich gehen, verdammt.«
»Die wertvollen Proteine des Fleisches werden ergänzt durch Weizenfuttermehl,
Milchpulver und Karotten sowie einer Mineralien- und Vitaminmischung
aus Calcium, Phosphor, Vitamin A, Vitamin D3, Vitamin E, Vitamin H.
Eine Jury aus verschiedenrassigen Katzen hat diese Fleischmahlzeit als
besonders schmackhaft bewertet. Das ist zu viel. Gehen wir.«
Im Treppenhaus war niemand mehr, und das war auch gut so. Die Männer
vom Bestattungsinstitut hatten offenbar die Haustür offen gelassen,
denn die einbrechende Nacht war intensiv zu spüren, und das war
noch besser - sie atmeten tief durch, und der Luftstrom strich ihnen
über Gesicht und Hände, sodass sie sich allmählich kühler
und sauberer anfühlten.
»Was für ein Job ist das?«
»Warte.«
Harjunpää zog das Funkgerät heraus. Er hatte nicht daran
gedacht, die Mitteilungen zu verfolgen, und es zu allem Überfluss
auch noch so leise gedreht, dass er es gar nicht gehört hätte,
wenn er gerufen worden wäre.
»Auf jeden Fall ist es bei Koivuniementie und Niittyranta irgendwo.«
»In Marjaniemi«, warf Thurman ein, und da erinnerte sich Harjunpää
wieder. Er blickte kurz auf Onerva; auch bei ihr bildeten sich Falten
auf der Stirn, und ihre Miene wirkte beunruhigt.
»Dort wohnen doch unsere Lehikoinens.«
»Na klar.«
Harjunpää griff schnell nach dem Funkgerät.
»Gewalt auf der Drei an Zentrale. Hört ihr mich?«
»Zentrale hört. Und hat schon gewartet. Macht euch auf den Weg
nach Marjaniemi. Es ist nicht direkt an der Kreuzung, sondern ein Stück
weiter, vor einem der Einfamilienhäuser am Niittyranta. Es ist
da jemand überfahren worden - ein junger Kerl mit Fahrrad. Darum
kümmert sich die Verkehrsstreife, aber dort ist noch mehr los,
und deswegen will die Hausherrin euch dort haben - ausdrücklich
Harjunpää und Nykänen.«
»Heißt sie Lehikoinen?«
»Moment.«
Man hörte, wie der Diensthabende auf der Computertastatur tippte,
den Fall suchte, und Harjunpää erinnerte sich, dass Lehikoinen
einen Jogginganzug getragen und einen Fahrradschlüssel in der Hand
gehalten hatte, als er die Anzeige erstattete; er war schlank und stattlich,
jünger als Harjunpää, und sein Aussehen veranlasste Onerva
später zu der Feststellung: »Ein süßer Junge.« Und trotz allem
war er ruhig gewesen, gelassen, wie es nur ein Mensch sein kann, der
sich seiner selbst und seiner Entscheidungen sicher ist, und seinen
Worten war zu entnehmen gewesen, dass ihn das Ganze eigentlich amüsierte,
dass er die Strafanzeige für eine reine Formsache hielt, von der
er sich keinerlei Nutzen versprach und die er nicht einmal in Anspruch
zu nehmen gezwungen war. Harjunpää spürte eine kurze
Regung im Magen, so ähnlich wie wenn man in einen eiskalten See
watet, dann sagte der Diensthabende:
»Richtig, Lehikoinen ist es.«
»Ende.«
Sie setzten sich mit eiligen Schritten wieder in Bewegung.
»Was sind das für Leute?«
»Wir haben in einer Sache, die sie angezeigt haben, mit ihnen zu tun,
schon seit Mai. Heißen sie nicht Jari und Sanna? Jedenfalls sind wir
kein bisschen vorwärts gekommen. Das heißt, wir sind eigentlich
gar nicht dazu gekommen, die Sache in Gang zu bringen. Es handelt sich
im Wesentlichen um Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Jemand
terrorisiert sie.«
»Das muss irgendein Verrückter sein. Aber ich hätte trotzdem
nicht. Fährt dieser Jari nicht gern Fahrrad?«
»Oh, Mann.«
Sie kamen nach draußen, und der Abend war noch kein bisschen abgekühlt.
Die Dunkelheit setzte langsam ein, so wie immer um diese Zeit im August;
die Straßenlampen brannten schon, und die Reklamelichter sahen heller
aus als vorhin. Thurman suchte in seiner Tasche nach dem Schlüssel
zum Kleinbus.
Kapitel 2
Wie das Problem lautet
Sobald sie von der Meripellontie abgebogen waren, hatte Thurman die
Sirene ausgeschaltet, und als er jetzt auch das Blaulicht abschaltete
und die elektrischen Zuckungen aufhörten, waren die Bäume
wieder einfach nur Bäume und wirkten nicht mehr wie bedrohliche
Algen, die um den Taucher herumwogten, der sich zu tief hinabgewagt
hatte. In dichter Folge huschten sie vorbei, bildeten Bögen über
den Straßenlaternen und machten den Lichtern Nester, und genau auf der
Höhe der Autofenster zog das Band der sauber geschnittenen Heckenzäune
vorbei. Dort, wo die Gartentore waren, konnte man kurz auch die Häuser
erahnen - oder eigentlich nur die hinter Ziersträuchern und wildem
Wein aufblinkenden Lichter.
»Hier links!«
»Noch nicht. An der nächsten.«
»Dann hier.«
»Wo auch immer. Habt ihr auch keinen Krankenwagen gesehen?«
»Ist wahrscheinlich schon weg oder anders herumgefahren.«
»Kommt drauf an, wohin sie ihn bringen, was genau passiert ist.«
Im Scheinwerferlicht blitzte ein Straßenschild auf.
»Niittyranta.«
Thurman trat auf die Bremse und schwenkte so scharf nach links ein,
dass die Reifen quietschten. Die Straße war schmaler als die vorige,
und die Laternenpfähle und Hecken rauschten noch schneller vorbei;
nach kurzer Zeit erreichten sie eine weitere Biegung, wo der Kleinbus
nach rechts schwenkte. Nach einer Kurve öffnete sich eine Gerade,
und sie waren am Ziel.
Der Streifenwagen vom Ostzentrum stand mit eingeschaltetem Standlicht
am Straßenrand, die Blinker flackerten nicht mehr. Die Schaulustigen
hatten bereits genug, nur ein paar Jungen und eine Frau, die zwei Dänische
Doggen ausführte, waren noch da. Thurman hielt an. Harjunpää
griff zum Mikrofon.
»Die Acht-Neun-Eins ist vor Ort.«
»Zentrale hat verstanden.«
Sie stiegen aus. In der Luft war das nahe Meer und das Schilf zu riechen.
Die Straße war schmal, sie ließ sich mit wenigen Schritten überqueren.
Harjunpää durchzuckte kurz der Gedanke, es sei gar nichts
passiert, es handelte sich um einen Irrtum oder sogar um einen Streich,
aber dann bemerkte er das Fahrrad und gleich darauf die Kreidelinien
auf dem Asphalt.
Danke an den Goldmann Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis. |