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Am Tag nach ihrer Lesung aus „Kalter Süden“ in Dortmund am 8. September 2009 traf das Literaturportal die schwedische Bestsellerautorin Liza Marklund zum Interview. Bevor es weiter zur Buchpräsentation nach Kiel und Hamburg ging, verriet die Autorin dem Portal, dass sie die Filmrechte an all ihren Annika-Bengtzon-Krimis verkauft hat und dass sie an Dortmund ganz besondere Erinnerungen hegt, wuchs die Mutter ihres Exmannes, eine Jüdin, doch hier, vor den Nazis in einem Hinterhof versteckt, auf. Literaturportal schwedenkrimi.de: „Kalter Süden”, dein aktueller Roman, spielt in Marbella, wo du seit zwei Jahren wohnst. Wie geht’s inzwischen mit deinem Spanisch? Liza Marklund: Ich mache noch viele Fehler. Meine Freunde lachen oft über mich, aber ich muss jetzt dringend Spanisch pauken, denn im Frühjahr gehe ich auf Tournee in Spanien … Ich habe einen Freund, er ist Übersetzer und hat die Stieg-Larsson-Romane ins Spanische übersetzt, der sagt immer, man muss ein bisschen spanisch werden und Theater spielen. Also, ich übe noch und muss noch viel lernen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Aber es gefällt dir und deiner Familie an der Costa del Sol? Liza Marklund: Ja, sehr. Wir sind aus verschiedenen Gründen dorthin gezogen. Wir haben ein kleines, wirklich ganz kleines Haus, dort schon vor einigen Jahren gekauft, sozusagen als Ferienhaus, um dem eiskalten, pechschwarzen Januar in Stockholm zu entkommen. Im Winter in Stockholm zu leben, ist als lebe man in einer Kühltruhe. Ich bin ja außerdem in Norrbotten aufgewachsen, am Polarzirkel, noch mal 1.000 Kilometer nördlich von Stockholm. Ich habe meine Dosis an Kälte und Dunkelheit fürs ganze Leben also bekommen und wollte einfach einen Platz haben, zu dem man fahren kann, eben wie das klassische schwedische Sommerhaus, nur eben in Spanien. Ja, und jetzt geht meine Tochter schon das vierte Jahr dort zur Schule, auf ein internationales College. Literaturportal schwedenkrimi.de: Aber in „Kalter Süden“ beschreibst du auch, wie kriminell es an der Costa del Sol zugeht. Hast du keine Angst? Vor allem um deine Kinder? Liza Marklund: Interessanterweise nein. Ich habe mehr Angst in Stockholm. Literaturportal schwedenkrimi.de: Warum das? Liza Marklund: Man sieht die Kriminalität an der Costa del Sol nicht. Taschendiebstähle sind dort seltener als in Stockholm. An der Costa del Sol gibt es allerdings auch eine enorme Polizeipräsens in den Straßen. Laut einem Bericht der UN ist das Risiko, in Schweden überfallen und ausgeraubt zu werden, höher als in den USA. Stockholm und Schweden sind tatsächlich eine gewaltsame Gesellschaft. Tatsächlich wurde meine Tochter mehrere Male in Stockholm überfallen, das war ziemlich schlimm. An Silvester wurde jemand an unserer U-Bahnstation zu Hause in Stockholm ermordet – Wir haben dort in einem Vorort noch immer unser Haus und bezahlen auch noch immer unsere Steuern in Schweden, das ist für Schweden wichtig! An der Costa del Sol sehe ich nur die Spuren der Kriminalität, nicht aber die Kriminalität selbst. Ich kann die ganzen Luxusvillen sehen – kürzlich wurden 250 Luxusvillen von Drogenkönigen beschlagnahmt -, Gibraltar ist ein Paradies, um Geld zu waschen, aber die Kriminalität selbst sehe ich nicht so wie in Schweden. Literaturportal schwedenkrimi.de: Aber du selbst hast auch einen Gasalarm installiert? Liza Marklund: Und ob! Literaturportal schwedenkrimi.de: Zum Buch: „Kalter Süden“ wirkt auf mich gleichzeitig frischer als auch reifer als literarisches Werk. Es ist stringent erzählt und wartet mit einer richtig gut entwickelten Intrige auf – anders als „Nobels Testament“, das sehr verschachtelt war. Ist es die Distanz zu Schweden, die – obwohl du ein Thema aufgreifst, das direkt die Costa del Sol betrifft – deinen Blick geschärft hat? Wie empfindest du das selbst? Liza Marklund: Ich versuche, jedes Buch anders zu machen, auf eine andere Art und Weise zu schreiben. Es ist für mich ein Experiment zu sehen, was funktioniert und was nicht. Du hast Recht, „Nobels Testament“ ist speziell. Dort gibt es eine Vielzahl Erzählperspektiven. In „Kalter Süden“ erzähle ich nur aus Annikas Perspektive. „Kalter Süden“ ist auch das dickste Buch, das ich bisher geschrieben habe, viel umfangreicher als die vorherigen, und ich würde sagen, zu 98 Prozent ist es aus Annikas Sicht geschrieben. Darum ist es eine ganz andere Erzählung geworden. Es musste reflektierender werden als die vorherigen Bücher. Man kann nicht einfach hin- und herspringen, man muss die emotionale Entwicklung einer Figur ganz genau verfolgen und beschreiben. Es hat Spaß gemacht, aber es war auch ungeheuer schwer zu schreiben.
Was genau war so schwer daran? Liza Marklund: Man muss so ungeheuer tief in den Charakter eindringen. Man muss die ganze Zeit bei ihm sein und kann nicht einfach eine Entwicklung im Gefühlsleben überspringen. Aber es hat großen Spaß gemacht, über die Costa del Sol zu schreiben. Einige sagen, ich sei so kritisch gegenüber der Costa del Sol, aber das finde ich nicht. Ich bin nur ehrlich. Man kann die Costa del Sol praktisch wie eine schwedische mittelgroße Stadt beschreiben. Es gibt dort alles, von einem schwedischen Fernsehreparateur über schwedische Frisöre, schwedische Tageszeitungen, einen schwedischen Radiosender, alles. Aber es gibt dort auch ganz besondere Typen, die es dort hinzieht, wie zum Beispiel Rickard Marmén. Ein Mann, der alles ausprobiert hat und mit allem gescheitert ist, aber nie seine gute Laune verloren hat – die gibt es auch in der Wirklichkeit. Oder Carita Halling Gonzalez. Die Costa del Sol ist voll von Caritas, die gibt es wirklich! Ich liebe sie, sie ist fantastisch! Sie ist meine Lieblingsfigur. Literaturportal schwedenkrimi.de: Heißt das, es gibt vielleicht ein Wiedersehen mit ihr? Man erfährt ja nicht richtig, was mit ihr passiert ist, wo sie abgeblieben ist … Liza Marklund: Vielleicht … Literaturportal schwedenkrimi.de: Mir ist auch Annikas Entwicklung aufgefallen. Sie wirkt längst nicht mehr so distanziert und verkrampft, sie ist wesentlich ruhiger geworden, obwohl sie nun von Thomas geschieden ist und in ihrem Job degradiert wurde – obwohl man ihr zunächst ein besseres Jobangebot gemacht hat, das sie aber ablehnt. Das finde ich unerhört mutig, oder? Liza Marklund: Man hat mir selbst auch einmal einen solchen Job angeboten und ich habe auch abgelehnt. Redaktionschef zu sein, ist schrecklich … Das heißt, tatsächlich war ich auch einmal Redaktionschef – Chef vom Dienst hieß es da, bei TV4 -, und das ist sehr langweilig. Es kann sehr interessant sein, wenn man Stil und so weiter mitbestimmen kann, aber das ist eine Sache, die Annika und ich teilen: Wir steuern lieber unsere eigene Arbeit als die der anderen. Ich kann wirklich gut verstehen, dass sie ablehnt … Dass du das Gefühl hattest, ihr näher zu kommen, hat sicher etwas mit der oben erwähnten Erzähltechnik zu tun, und das war auch genauso beabsichtigt. Literaturportal schwedenkrimi.de: Neben der reinen Kriminalgeschichte greifst du auch immer Fragen auf, die Annika nicht primär als Privatperson betreffen, sondern in ihrer Arbeit als Journalistin. Hier ist es die Frage, ob die Kunst wirklicher sei als der Journalismus. Ist die Kunst für dich wirklicher als der Journalismus? Wenn ja, warum? Liza Marklund: Die Kunst kann wahrer sein als der Journalismus, ja. Man braucht die Kunst und die Literatur, um der Wahrheit näher zu kommen, um sie zu zeigen. Die Fiktion kann eine Wirklichkeit zeigen, die wir nicht sehen. Als Journalist darfst du niemals, auf gar keinen Fall, unter gar keinen Umständen lügen. Als Autor lügt man die ganze Zeit, aber so gelingt es, die unsichtbare Wahrheit zu zeigen, seine Zeit oder seine Vergangenheit zu verstehen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Aber Anfang des Jahres ist dir genau das passiert; die Journalistin und Autorin Monica Antonsson hat dich scharf angegriffen und behauptet, alles in „Mia“ und „Asyl“ sei nur erfunden und erlogen. Einige haben deine Integrität als Journalistin in Frage gestellt. (schwedenkrimi.de berichtete) Wie denkst du jetzt, ein halbes Jahr später, darüber? Liza Marklund: Ich finde nicht, dass meine Integrität gelitten hat. Die ganze Diskussion war sehr komisch. Sie wurde initiiert von den Männern, die Mia aus Schweden vertrieben haben. Sie sind an die Journalistin herangetreten und haben seine Geschichte erzählt, und es ist klar, alle Männer, die ihre Frauen misshandelt haben, fühlen sich unschuldig. Sie geben zum Beispiel allen Ernstes an, dass die Frau aus Versehen sechs Mal ins Messer gelaufen ist. Aber es stimmt schon, dass ich eine zeitlang in Frage gestellt wurde. Aber ich war sehr darauf bedacht, dass man die Frau, über die ich schrieb, nicht identifizieren konnte. Das schreibe ich auch in einem Vorwort, dass es sich um einen Roman handelt, und das Buch ist auch stets als Roman verkauft worden. Dann ist „Mia“ selbst an die Öffentlichkeit getreten und hat ihren Fall offen gelegt. Man konnte ihre ganze Akte im Internet herunterladen und damit starb die ganze Diskussion. Was da passiert ist, habe ich die ganze Zeit kommen sehen. Ich habe unglaublich gute Kritiken und gute Presse bekommen, habe großen Erfolg mit meinen Romanen gehabt. Es musste also früher oder später zu einer Gegenreaktion kommen. Das wusste ich, aber dass es auf diese Weise passieren würde, wusste ich nicht. Das war schon alles sehr seltsam; der Verlag, der Monica Antonssons Buch herausgegeben hat, hatte auch schon vorher ein Buch veröffentlicht, in dem behauptet wurde, ich hätte in einem „Annika-Bengtzon-Krimi“ gelogen… Hallo?! Natürlich habe ich das, es sind ja Romane! Aber wie gesagt, nachdem „Mia“ sich zu erkennen gegeben und ihren Fall öffentlich gemacht hat, endete die Diskussion. Literaturportal schwedenkrimi.de: Also noch mal zurück zu „Kalter Süden“. Der Roman ist eine direkte Fortsetzung von „Lebenslänglich“. Wusstest du das bereits, als du an „Lebenslänglich“ geschrieben hast oder entwickelte sich das während des Schreibens? Liza Marklund: Das ganze ist eine Geschichte, aber es passte nicht in ein Buch. „Lebenslänglich“ geht der Frage nach, was heute noch von lebenslanger Dauer ist: Die Ehe? Der Job? Lebenslange Haft? Nein, das ist alles zeitlich begrenzt, aber die Elternschaft ist etwas, das ewig dauert. Darüber habe ich lange nachgedacht, als ich „Lebenslänglich“ schrieb. Gleichzeitig tauchte die Frage auf, was manche Leute tun, um einen Platz an der Sonne, Ansehen und Reichtum zu bekommen, und so wurden es zwei Bücher. Literaturportal schwedenkrimi.de: Wann wird aus Annika denn eine Filmheldin? Liza Marklund: Tatsächlich habe ich die Filmrechte an allen Büchern gerade verkauft, an Yellow Bird. Ich habe viele Filmangebote abgelehnt, denn ich wollte sicherstellen, dass diese Filme genauso gut werden, wie die ersten beiden Verfilmungen mit Helena Bergström in der Hauptrolle. Nun sind die Rechte an Yellow Bird verkauft, die alle Annika-Bengtzon-Romane verfilmen werden. Die Leute bei Yellow Bird sind ungeheuer fleißig und kompetent. Ich bin sicher, dass die Filme sehr gut werden. Literaturportal schwedenkrimi.de: Yellow Bird ist einer der größten Kino- und Fernsehproduzenten Skandinaviens, da werden wir die Filme sicher auch in Deutschland sehen … Liza Marklund: Ja, ich denke schon. Es ist ein deutscher Produzent mit an Bord. Literaturportal schwedenkrimi.de: Steht schon fest, wer die Rolle der Annika spielen wird? Liza Marklund: Nein, das steht noch nicht fest.
Literaturportal schwedenkrimi.de: Du sollst dich außerdem dafür entschieden haben, elf Bücher über Annika zu schreiben. Wie viele sind schon fertig? Liza Marklund: Im Kopf sind schon alle fertig, ich habe auch schon mit dem nächsten begonnen. Dafür habe ich schon einen Entwurf geschrieben, doch ich muss viel dafür recherchieren, und eigentlich sollte ich ja Spanisch lernen … Literaturportal schwedenkrimi.de: Noch eine letzte Frage zum Buch. Ich gehe davon aus, dass du im Allgemeinen kein Verständnis hast für Mörder und Drogendealer, aber in diesem speziellen Fall: Empfindest du Mitgefühl für deine literarischen Gestalten, die alles dafür tun, einen Platz an der Sonne (so heißt der Roman im Übrigen im Original, Anmerk. d. Redaktion) zu bekommen? Liza Marklund: Ja, ich empfinde Mitgefühl für sie. Ich kann verstehen, dass man Abkürzungen geht, dass man Verbrechen begeht, wenn man nichts anderes hat. Aber diese ganze Gruppe, die ganze Familie, der ganze Clan, sie gehen daran zugrunde. Sie sind zu weit gegangen und müssen den Preis dafür bezahlen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Man kann sich fragen, ob sie schlussendlich überhaupt einen Platz an der Sonne bekommen haben. Liza Marklund: Nein, das finde ich nicht. Sie haben ihn sich nur geliehen, aber ich kann diese drei Mädchen wirklich gut verstehen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Apropos: Als ich das las, dachte ich: „Jetzt passiert es schon wieder!“ Schon wieder ein deutsches, kleines Mädchen, das irgendein dunkles Geheimnis aus der Nazi-Zeit mit sich herumträgt. Warum begegnet einem so eine Figur so oft in der schwedischen Literatur? Liza Marklund: Ich glaube, weil Schweden ein so kompliziertes Verhältnis zu Nazi-Deutschland hat. Wir waren nicht im Krieg. Das war auch nicht nötig. Wir haben gesagt, hier sind unsere Bahnhöfe, unsere Verkehrswege ... Willkommen! Damit kämpft Schweden noch heute. Schweden hat Deutschland zu allen Zeiten nahe gestanden. Mein Büro in Stockholm liegt im Tyskabrinken, gegenüber der deutschen Kirche. Viele Schweden haben Verwandte in Deutschland. Also, die Verbindung zu Deutschland ist immer sehr nahe gewesen. Außerdem ist es eine ungeheuer spannende historisch Epoche. Ständig tauchen auch neue Figuren und Filme zu dem Thema auf, sogar aus Hollywood. Ich selbst habe übrigens auch eine Verbindung zu der Zeit – und zu Dortmund! (Dort trafen wir Liza Marklund zum Interview, Anmerk. d. Redaktion). Ich war hier schon ein Mal vor dreißig Jahren. Mein erster Mann war Amerikaner und seine Mutter stammte aus Dortmund. Sein Vater kam aus Warschau. Seine Mutter war Jüdin, und als ihre Eltern deportiert wurden, versteckten sie ihre Tochter hier bei einer Frau in Dortmund. Fünf Jahre lebte sie dort versteckt in einem Hinterhof, bevor man sie entdeckte. Wir besuchten damals die Frau, die seine Mutter versteckt hatte. Meine älteste Tochter – unsere gemeinsame Tochter Annika – sieht exakt aus wie die Urgroßmutter aus Warschau, die in Auschwitz starb. Ich habe also sozusagen selbst eine Verbindung in diese Zeit, weil ich eine Tochter habe, deren Verwandte im Konzentrationslager starben. Literaturportal schwedenkrimi.de: Liza, das waren viele neue, spannende und interessante Informationen! Vielen Dank dafür und für das Interview! Redakteurin: Alexandra Hagenguth/ © September 2009 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
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