Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
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Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde
 
Rebecka Edgren Aldén - Die achte Todsünde

Interview mit der Übersetzerin Coletta Bürling

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Die Übersetzerin Coletta Bürling
Die Übersetzerin Coletta Bürling

Coletta Bürling lebt in Island und ist Übersetzerin der Kriminalromane von Arnaldur Indriðason und Viktor Arnar Ingólfsson. Dem Literaturportal schwedenkrimi.de Redakteur Jürgen Ruckh ist es gelungen, die Übersetzerin zu interviewen, neben den aktuellen Informationen über die beiden Autoren und ihre neuen Bücher „Frostnacht“ und „Haus ohne Spuren“ gibt uns Coletta Bürling einen interessanten Einblick in Ihre Arbeit und Ihr Leben.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Ist es richtig, dass das Erste von Dir ins Deutsche übersetzte Buch von Steinunn Sigurðardóttir „Der Zeitdieb“ war? Und dann folgte Kristín Marja Baldursdóttirs „Möwengelächter“?

Coletta Bürling:
Ja, das stimmt. Zwischen dem Erscheinen des Zeitdiebs auf Isländisch und auf Deutsch vergingen  genau 10 Jahre, und mit vielen Unterbrechungen habe ich auch genauso lange daran gearbeitet, d.h. ich habe mir immer wieder Ausschnitte vorgenommen, die als Kostproben dann auch Verlagen unterbreitet wurden, aber erst nach vielen vergeblichen Versuchen hat der Ammann-Verlag in Zürich die Rechte gekauft. Bei „Möwengelächter“ verhielt es sich etwas anders, das Buch habe ich zusammen mit einer Freundin übersetzt. Das Manuskript war vollständig fertig, aber trotzdem hat es noch etliche Jahre gedauert, bis sich endlich der Krüger-Verlag entschloss, das Buch herauszugeben. Das war ein großer Schritt nach vorn, denn für Romane aus Island interessierten sich damals höchstens kleine, auf Skandinavien spezialisierte Verlage. Deren Arbeit war sicherlich sehr wichtig, denn es ging ihnen ja darum, Autoren aus dem Norden in Deutschland bekannt zu machen, aber die Auflagenzahlen waren sehr niedrig, und mit dem Vertrieb haperte es.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Diese zwei isländischen Schriftstellerinnen haben nichts oder nur sehr wenig mit dem Genre Kriminalroman zu tun. Aber Du übersetzt und hast bisher auch weitere Romane von ihnen ins Deutsche übersetzt. Zuletzt, den, wie ich finde, sehr schönen Roman von Kristín Marja Baldursdóttir „Die Eismalerin“. Hast Du eine besondere Beziehung zu diesen zwei Schriftstellerinnen?

Coletta Bürling:
Als ich Anfang der 80er Jahre meine ersten übersetzerischen Gehversuche machte, gab es hierzulande keine Kriminalromane. Und literarisch gesehen kannte man in Deutschland nur einen Namen: Halldór Laxness. Damit war für viele, nicht zuletzt für viele Verleger, das Thema Island abgetan; man ging wohl davon aus, dass so ein kleines Völkchen wie die Isländer höchstens einmal pro Jahrhundert einen namhaften Schriftsteller hervorbringen konnte.
Im Grunde genommen war die Einstellung in Island auch nicht so sehr viel anders, denn Halldór Laxness war sozusagen eine überdimensionale Gestalt am literarischen Firmament, und für viele nachfolgende Literaten eine schwere Bürde. Eigentlich hat erst in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die Generation der Enkel es gewagt, frisch, frei und fröhlich zur Feder zu greifen, und entsprechend erhielten diese Schriftsteller die Bezeichnung „die witzige Generation“. Für mich war es spannend, das mitzuerleben, zumal ich im Falle von Steinunn Sigurðardóttir und Kristín Marja Baldursdóttir beide privat kannte.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Wie bist Du überhaupt gekommen, Bücher zu übersetzen? Du warst ja Leiterin des Goethe-Instituts in Reykjavik, bis es den Sparplänen des Außenministeriums zum Opfer fiel. War das Übersetzen aus der Not geboren oder hast Du schon früher daran gedacht, Bücher zu übersetzen?

Coletta Bürling:
Nein, gewiss nicht aus der Not. Ich hätte schon früher gern übersetzt, aber dazu ließ mir das Goethe-Institut absolut keine Zeit. Es fing an mit zwei Kurzgeschichten, die in einem Sammelband mit isländischer Literatur erschienen, und ich hatte das Glück, mir zwei Autoren aussuchen zu können, Steinunn Sigurðardóttir und Þórarinn Eldjárn. Diese beiden Geschichten mit ihrem hintergründigen, skurrilen Humor wählte ich aus einem ziemlich egoistischen Motiv heraus, nämlich weil ich selber auch ein bisschen Spaß beim Übersetzen haben wollte. Außerdem war mir aufgefallen, dass Witz und Ironie beispielsweise in den Übersetzungen von Halldór Laxness nicht sonderlich zur Geltung kommen oder gar unter den Tisch fallen. Sicherlich ist Ironie wohl mithin das Schwerste, was sprachlich rüberzubringen ist. Ich bin aber der Meinung, dass ein Übersetzer dazu verpflichtet ist, seine Leser genauso häufig zum Lächeln bzw. zum Lachen zu bringen, wie der Autor es im Original macht. Ich empfinde das als eine Herausforderung, und das führt mitunter dazu, dass ich da, wo ein witziges Wortspiel sprachlich nicht wiederzugeben ist, ersatzweise ein paar Zeilen später oder vorher ein anderes einbaue. Ich halte das für legitim im Sinne der obengenannten Verpflichtung.
Diese kurzen Erzählungen waren also der Anfang, wie gesagt, doch Goethe ließ mir nie Zeit für Übersetzungen, aber das änderte sich natürlich schlagartig mit der Schließung des Instituts in Reykjavík. Steinunn Sigurðardóttir hat es einmal in einer Fernsehtalkshow hier in Island ganz wunderbar auf den Punkt gebracht: "Die Schließung des Goethe Instituts ist ein Riesenskandal, aber aus egoistischen Gründen kann man dem Goethe-Institut nur dankbar für diese Maßnahme sein, denn jetzt kann Coletta sich endlich voll und ganz dem Übersetzen widmen."

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Wie läuft eine Veröffentlichungsgeschichte eigentlich ab? Übersetzt Du erst, klapperst dann die deutschen Verlage ab und fragst dann, wenn Du einen Verlag gefunden hast, den Autor, die Autorinnen oder den isländischen Verlag? Oder kommt vielleicht sogar ein deutscher Verlag mit einem Übersetzungswunsch auf Dich zu?

Coletta Bürling:
Die erstere Variante hat bei mir noch nie geklappt bzw. geklappert, aber das mag auch daran gelegen haben, dass man – vor Arnaldur Indriðason – in Deutschland eigentlich Island nicht so recht wahrgenommen hat. Normalerweise läuft es – was mich betrifft – so ab, dass man um ein Gutachten für ein bestimmtes Buch gebeten wird, dass isländische Verlage deutschen Partnern ans Herz gelegt haben. In dem Fall will der deutsche Verleger natürlich eine möglichst neutrale und unabhängige Meinung einholen, um nicht eine Katze im Sack zu kaufen.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Suchst Du Dir die Autoren aus, die Du übersetzen möchtest oder kommen auch Autoren zu Dir?

Coletta Bürling:
Es kommt durchaus vor, dass ich gebeten werde zu übersetzen, aber ich war in den letzten 4 Jahren so intensiv mit „meinen“ Autoren beschäftigt, dass ich nicht die Möglichkeit hatte, andere hinzuzunehmen.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Bei den Kriminalromanen übersetzt Du bisher nur männliche Schriftsteller. Arnaldur Indriðason und Viktor Arnar Ingolfsson. Ist das Zufall, dass Du in dem einen Genre nur Schriftstellerinnen übersetzt und in dem anderen nur Schriftsteller?

Coletta Bürling:
Das ist der pure Zufall. Aber ich gebe zu, dass ich natürlich am liebsten nur Bücher übersetze, die ich auch selber mag. Meine Vorlieben sind da aber ganz gewiss nicht geschlechtsspezifisch!

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Der erste von Dir übersetzte Kriminalroman erschien 2003. Arnaldurs „Nordermoor“. Nur drei Monate später, im Mai, erschien ein zweiter Kriminalroman aus Island. Stella Blómkvists „Die Bronzestatue“. Wußtest Du, dass ein zweiter Krimiautor ebenfalls übersetzt wurde?

Coletta Bürling:
Überhaupt nicht, denn damals hatte ich ganz sicher auch kaum etwas von Stella Blomkvist gehört. Hier muss ich ganz offen gestehen, dass ich bis 2002 der größte Banause (oder muss man heute etwa schon „Banausin“ sagen?) war, was isländische Krimis betrifft, ich litt – wie viele andere- unter dem vorgefassten Urteil, dass in diesem „Lavaländchen an der Wäscheleine des Polarkreises“ mangels Verbrechen keine Krimis geschrieben werden könnten. Diese irrige Auffassung haben natürlich Arnaldur Indriðason und seine literarischen Kollegen inzwischen überzeugend widerlegt. Mein krimineller Geschmack (ich leide unter panischer Flugangst und decke mich bei der Gelegenheit immer mit Krimis ein) konzentrierte sich nahezu ausschließlich auf englische Klassikerinnen wie Agatha Christie, Dorothy Sayers, P.D. James und Minette Walters. Doch ja, ein paar Simenons waren auch in dieser sehr begrenzten und einseitigen Sammlung.  In Deutschland hatte ich viele Jahre die Situation des Krimis im übrigen ganz ähnlich eingeschätzt, das änderte sich aber, als ich Anfang der 90er Jahre Doris Gercke „für Goethe“ nach Island holte.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
War es schwer einen Verlag für Arnaldur zu finden? Ich habe gehört, Du hast gute Verbindungen zu manchen Lektoren. Aber ein Krimischriftsteller aus Island war sicher etwas Exotisches?

Coletta Bürling:
Ich lebe bereits so lange in Island, dass ich kaum von solchen Verbindungen reden kann, und ich war auch noch nie auf der Messe in Frankfurt. Das mit Arnaldur Indriðason war ein Zufall, ein Glücksfall, von denen es netterweise so einige im Leben gibt. Die betreffende Lektorin bei Lübbe war viele Jahre zuvor die allererste Skandinavistik-Studierende in Deutschland, die sich um ein Praktikum beim Goethe-Institut in Reykjavík bewarb, und wir haben seitdem die Verbindung gehalten. 2001 schickte sie mir mit der Weihnachtspost ihre Visitenkarte, sie hatte damals gerade bei Lübbe angefangen, und ich meldete mich gleich im neuen Jahr per E-mail bei ihr, ob wir da nicht vielleicht gemeinsam etwas deichseln könnten, und schlug den inzwischen auch mir namentlich bekannten Arnaldur Indriðason vor - ohne aber eine Zeile von ihm gelesen zu haben. Der isländische Verlag hatte ihn bereits einige Male auf der Frankfurter Messe an den Mann bzw. den Verlag zu bringen versucht, doch ohne Erfolg. Meine ehemalige Praktikantin reagierte prompt und bat mich um ein Gutachten zu Arnaldurs Büchern. Daraufhin las ich also in Windeseile drei Krimis von Arnaldur, mein Vorurteil schwand dahin wie Tau vor der Sonne, ich schrieb das Gutachten, und 2 Wochen später war der Vertrag zu „Nordermoor“ in trockenen Tüchern! Und damit kam bekanntlich der Stein, im Nachhinein betrachtet eigentlich sogar die Lawine, ins Rollen.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Ich glaube, niemand konnte mit dem großen Erfolg von Arnaldurs Romanen rechnen. Nicht nur in Deutschland sondern auch in England, USA usw. Hat Dich dieser Erfolg auch überrascht?

Coletta Bürling:
Mit Sicherheit hat niemand mit diesem Erfolg gerechnet, am allerwenigsten ich, und Arnaldur gewiss auch nicht. Wir fielen sozusagen aus allen Wolken, als er - ein völlig unbekannter Autor mit einem noch dazu für Deutsche unaussprechlichen Namen - gleich mit Nordermoor auf die Bestsellerliste kam. Fest steht aber auch, dass das nicht zuletzt ein Verdienst der fantastischen PR- und Marketing-Abteilung von Lübbe war und ist.
Schön an diesem Erfolg finde ich nicht zuletzt die Tatsache, dass der internationale Erfolg, den Du erwähnst, in Deutschland begann, denn all die anderen Länder haben erst relativ viel später nachgezogen – nachdem das Eis in Deutschland gebrochen war.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Hast Du für diesen Erfolg eine Erklärung? Auf was führst Du den Erfolg der isländischen Krimiautoren zurück? Im Grunde war es auch für isländische Leser etwas Neues, Krimis aus ihrem eigenen Land zu lesen. Aus einem Land, in dem es ja so gut wie keine Morde gibt, wie Du es schon gesagt hast. Ist es vielleicht, weil sie auf der skandinavischen Krimiwelle mitschwimmen oder gibt es ein gewisses „Etwas“, das den Erfolg ausmacht? Das Land selbst?

Coletta Bürling:
„Oft er lítið um svör, þegar stórt er spurt“ – das ist eines von vielen isländischen Sprichwörtern, die sehr zutreffend, aber manchmal fast unübersetzbar sind: >Bei großen Fragen gibt es oft nur kleine Antworten<.
Sicherlich profitieren isländische Schriftsteller von der „skandinavischen Welle“ in Deutschland, aber als „Mitschwimmen“ würde ich es eigentlich nicht bezeichnen wollen, denn hier gehen die Krimiautoren ihre eigenen isländischen Wege. Das ist gut so, denn sonst wären sie ja gar nicht glaubwürdig, und man würde sie wohl auch nicht wahrnehmen.
Dabei hilft ihnen sicherlich, dass Island in Deutschland einen fast exotischen Reiz hat. Interessanterweise gibt es meines Wissens  bislang aber nur einen Versuch, Islandspezifisches literarisch und kriminell zu verarbeiten, in einem Krimi aus den 80er Jahren wurde jemand in einem Geysir gekocht.
Bei Arnaldur spielen die Menschen die wichtigste Rolle, das Land aber kaum – höchstens das Wetter, das ja meist perfekt dem irrigen deutschen Begriff des „Islandtiefs“ entspricht. Im Gegensatz dazu haben Landschaften und Stimmungen in Viktor Arnars Romanen eine sehr viel größere Bedeutung.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Hat es Dir der Erfolg von Arnaldur leichter gemacht, auch die Bücher von Viktor Arnar bei Lübbe unterzubringen?

Coletta Bürling:
Auf jeden Fall.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Was sind die besonderen Schwierigkeiten isländische Romane in das Deutsche zu übertragen?  Ist es nicht schwierig, bestimmte spezifische Eigenschaften einer Sprache, eines Landes, geschichtliche oder gesellschaftliche Gegebenheiten,  zu übersetzen? Ich denke hier nicht an das obligatorische „Du“, wie es in jedem übersetzten isländischen Buch in der Voranmerkung steht. Nicht jeder kennt ja Island so gut wie Du. Mußt Du da manchmal erklärende Passagen, Sätze einfügen?

Coletta Bürling:
Ich gehe davon aus, dass die Mehrzahl deutschen Leser Island nicht kennt, und deswegen ist es für mich ein wichtiges Anliegen, etwas vom Ambiente rüberzubringen. Schwierig sind beispielsweise Straßennamen oder Stadtviertel in Reykjavík, damit kennt sich jeder Isländer aus, auch wenn er nicht in der Hauptstadt lebt, aber für deutsche Leser ist das sehr fremd, wozu natürlich auch die für Ausländer zungenbrecherisch wirkenden Namen beitragen.
Historische Bezüge gehören wohl zum Problematischsten - wenn Arnaldur da beispielsweise ganz nebenbei das Allthingjubiläum von 1930 einfließen lässt, wissen alle Isländer Bescheid, ein deutscher Leser braucht aber Verständnishilfen. Aber auch gesellschaftliche Dinge können irritierend wirken – ich kann mich an einen Satz aus dem Zeitdieb erinnern, wo ein Mädchen, das in die zweite Klasse des Gymnasiums geht, auf einer Geburtstagsfeier Cognac trinkt – da musste einfach die Fußnote kommen, dass in Island das Gymnasium erst mit der 11. Jahrgangsstufe beginnt. Fußnoten empfinde ich als äußerst störend in einem literarischen Werk, aber manchmal geht es einfach nicht ohne.
Ähnlich schwierig ist es, wenn isländische Autoren Natur und Landschaften nur durch Namensnennung ins Spiel bringen – wenn Sigurður Óli zur Esja hinüberblickt, wissen sicherlich von tausend deutschen Lesern vielleicht zehn, was damit gemeint ist, ein kleiner Zusatz wie „zum Bergmassiv“ der Esja hilft da schon enorm viel weiter. Im „Rätsel von Flatey“ fand ich den ersten Satz schwierig, in dem im Original ‚ein scharfer Ostwind über den Breiðafjörður“ bläst, das liest sich bei mir „über die weite Bucht des Breiðafjörður“.
In einem Fall habe ich sogar einen Namen übersetzt, der Stadtteil Norðurmýri wurde zu „Nordermoor“, und damit war auch der Titel gefunden!
Es gibt also  unterschiedliche Lösungmöglichkeiten, wichtig ist, dass man äußerst behutsam vorgeht und keine völlig unpassenden Eingriffe in den Text macht.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Arnaldur hat ja immer ein Thema in einem Buch, z.B. Genforschung, Fremdenfeindlichkeit, Gewalt in der Familie und natürlich das große Thema von Erlendur – verschwundene Personen. Viktor Arnar schreibt, so empfinde ich es, eher literarische Krimis. Fächert ein großes Personentableau  vor dem Leser aus. Gibt es sonstige Unterschiede im Stil von Arnaldur und Viktor Arnar, die Dir als Übersetzerin besonders auffallen.

Coletta Bürling:
Ja, das ist richtig, Arnaldur fasst Themen an, die ihm am Herzen liegen, und wohl auch seinen Lesern, was mit Sicherheit einer der Gründe für seine Popularität ist. Was den Stil betrifft, so unterscheiden sich diese beiden Autoren meiner Meinung vor allem darin, dass man bei Arnaldur nicht selten das Gefühl hat, man befände sich in einem Film und beobachte die Akteure bei ihren Bewegungen, Blicken und Reaktionen. In dieser Hinsicht ist Viktor Arnar Ingólfsson ganz anders, er erzählt viel, holt weiter aus, bei ihm kommt auch immer, wie Du sagst, ein sehr viel breiter gefächertes Spektrum an Nebenpersonen zum Zug, und er bezieht wie gesagt auch Landschaft und Naturstimmungen mit ein. Bei Arnaldur sind derartige Angaben immer äußerst sparsam, prägnant und knapp.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Weißt Du, warum bei der Veröffentlichung der Bücher von Arnaldur die Reihenfolge der isländischen Veröffentlichungen nicht eingehalten worden ist? Diese Frage wurde oft gestellt. So wird der eigentliche zweite Band der Erlendur-Reihe, der Roman  "Dauðarósir", demnächst als letztes Buch dieser Reihe erscheinen.

Coletta Bürling:
Das lag wohl in erster Linie daran, dass Arnaldur Indriðason mit „Nordermoor“ seinen Durchbruch in Island hatte, und für diesen Roman als erster Isländer den Krimipreis der Nordischen Länder, den Glasschlüssel, erhielt. Kann mir gut vorstellen, dass diese Frage oft gestellt wird, denn die zentralen Personen in den Büchern machen ja auch eine gewisse Entwicklung durch. Aus dem Grunde hatten dann wohl auch die auf Nordermoor folgenden Bücher zunächst Priorität, die älteren Romane waren aber von Anfang an eingeplant.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
War "Dauðarósir" schwieriger zu übersetzen oder ist der Inhalt, der Plot, zu spezifisch isländisch?

Coletta Bürling:
Jedes Buch ist auf seine Art schwierig, doch vielleicht kann man in diesem Fall sagen, dass der Inhalt ziemlich spezifisch ist, es geht um Fangquoten in der Fischerei, ein heißumstrittenes Thema, und die gigantische Bauwut in Reykjavík, die Dir sicher bei Deinen Besuchen in Island auch aufgefallen ist. Aber in dem Roman erfährt man auch einiges mehr über Erlendur und Sigurður Óli.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Was sind Deine nächsten Bücher, die Du übersetzen wirst. Ist ein neuer Autor darunter? Oder bist Du schon beim Übersetzen von Arnaldurs nächstem Buch "Konungsbók"?

Coletta Bürling:
„Todesrosen“ ist noch nicht ganz fertig, im Herbst fange ich mit „Konungsbók“ an, und außerdem steht ein neuer Roman von Steinunn Sigurðardóttir auf dem Programm, „Sólskínshestur“. Ein neuer Autor ist noch nicht gefunden, aber ich halte Ausschau.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Jetzt zum Buch "Frostnacht". Das Thema in Arnaldurs neuestem Buch ist die Ausländerfeindlichkeit. Die Ablehnung der „Anderen“. Ist dies wirklich ein Thema auf Island? Oder ist das zu schwarz gemalt? Auf jeden Fall ist es ein Thema, das es erst seit wenigen Jahren auf Island gibt, oder liege ich da falsch?

Coletta Bürling:
Ganz und gar nicht. Dies ist erst ein Thema in Island geworden, seit man einen verstärkten und vergleichsweise massiven Zustrom von Ausländern innerhalb von ganz wenigen Jahren beobachten kann. Überwiegend ist die Reaktion aber positiv, man betont, aus den Fehlern, die in anderen Ländern gemacht worden sind, lernen zu wollen. Wer in Island arbeiten und leben will, sollte und müsste die Sprache können, deswegen wird der Isländischunterricht für Zuwanderer jetzt verstärkt vom Staat gefördert. Das ist überaus verständlich, denn isländisch  wird zwar von den Sprachwissenschaftlern nicht zu den aussterbenden Sprachen gezählt, aber es gibt doch einige bedrohliche Anzeichen.
Aber zurück zu Arnaldur. Zu schwarz gemalt? Nein, das finde ich nicht. Arnaldur hat das Thema sehr korrekt angesiedelt, nämlich da, wo es am meisten zum Tragen kommt, in der Stadt und unter Kindern und Jugendlichen.


Buchtipp
Camilla Läckberg - Die Eishexe: Kriminalroman (Ein Falck-Hedström-Krimi 10)

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Nach meinen Informationen liegt der Ausländeranteil der isländischen Bevölkerung bei ca. 6%. Wenn man davon den europäischen Anteil abzieht, bleiben ca. 2% Anteil von Menschen aus anderen Ländern, was ungefähr einer Zahl von 3.000 entspricht. In Deutschland beträgt der Ausländeranteil zum Vergleich ca. 9%, davon 1/4 aus den EU-Staaten. In Deutschland ist aber die Gewaltbereitschaft gegenüber Fremden stärker und der Haß wird auch offen gezeigt. Hast Du dies auch schon auf Island bemerkt?

Coletta Bürling:
Das würde ich nicht so sehen. Von „Hass“ kann jedenfalls keine Rede sein, es hat wohl eher etwas mit einer offen zutage tretenden Gewaltbereitschaft zu tun, die einfach generell und global erhöht ist. Auch wenn ich mich in der Szene keineswegs gut auskenne, sondern mich hauptsächlich  an dem orientiere, was im Rundfunk über das „ausschweifende“ Nachtleben in Reykjavík berichtet wird, glaube ich, dass Gewalttätigkeit dieser Art auf die „übliche“ Randale in oder nach einer durchfeierten Freitag- oder Samstagnacht zurückzuführen ist, aber in wachsendem Maße wohl auch mit der Drogenszene in Verbindung steht, was ich persönlich wesentlich beängstigender finde. Auf jeden Fall sind keineswegs Ausländer die prädestinierten Opfer!
Das städtische Umfeld hat sicherlich auch etwas mit dem gewalttätigen Aktionen zu tun, denn in den Westfjorden beispielsweise ist der Ausländeranteil sehr viel höher, doch der menschliche Umgang miteinander scheint wesentlich unproblematischer zu sein.
Generell kann man aber sagen, dass die Isländer seit jeher ein sehr offenes Völkchen sind und sich keineswegs gegen ausländische Einflüsse abgeschottet haben. Das sieht man ihnen sogar äußerlich an – wer sich etwa vorstellt, dass hier oben der Prototyp des „Wikingers“ lebt, blond und blauäugig, wird sich sehr wundern, wenn er sich hier umschaut. Vom Beginn der Besiedlung an hatten die Menschen hier einen ganz starken keltischen Einschlag, weil sie im Zuge der Auswanderung Zwischenstopp auf den britischen Inseln machten und ein paar hübsche Sklaven und Sklavinnen raubten, mit denen sie sich in Island aber sehr bald vermischten. In späteren Jahrhunderten kam es auch gar nicht so selten vor, dass ausländische Schiffsbesatzungen – Franzosen, Basken, Spanier gezwungen waren, hier zu überwintern, und das blieb dann häufig genug nicht ohne Folgen...

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Arnaldur pickt sich ja immer ein gesellschaftliches Thema für seine Erlendur-Romane heraus. Dieses Thema wird sehr detailliert und akribisch beschrieben. So ist auffällig, dass die Ausländerfeindlichkeit, die in Gewalt münden kann, in "Frostnacht" nicht sehr offen zu Tage tritt. Eher latent, in Nebenbemerkungen, in den Aussagen der Personen. Ist diese Art zu schreiben, dieses "mit feinem Pinselstrich gemalte" Bild einer Gesellschaft, die Stärke von Arnaldur?

Coletta Bürling:
Auf jeden Fall! Und wichtig ist vor allen Dingen der ‚feine Pinselstrich’ – Arnaldur predigt nicht, belehrt nicht, kritisiert nicht – er beaobachtet und konstatiert, und jeder Leser zieht selbst seine Schlüsse. Diese Art von strenger Zurückhaltung ist meines Erachtens ein ganz wichtiger Zug bei Arnaldur. Das hat aber nichts mit „political correctness“ zu tun, denn beispielsweise Erlendur, dessen Name ja „Fremder“ bedeutet, und der sich ja häufig genug als solcher gebärdet, reagiert ja durchaus manchmal spontan und vehement.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Wäre nicht der Originaltitel "Winterstadt" der bessere Titel in diesem Fall gewesen? Sagt er doch aus, dass sich das Klima der zwischenmenschlichen Beziehung auch auf Island abkühlt. Von der offenen herzlichen Gemeinschaft, zu einer verschlossenen kühlen "Einzelkämpfer"-Gesellschaft. Wo der Einzelne nach seinem eigenen Vorteil schaut und das "Miteinander" verkümmert?

 
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Wollten Sie nicht schon immer Island auf eine ganz besondere Art und Weise kennenlernen? Der Nordland-Reisenspezialist Troll Tours gibt Ihnen nun wieder die Gelegenheit dazu, es gibt neue Reisetermine für das Winterhalbjahr 2008/2009. Während dieser außergewöhnlichen Reise haben Sie die Möglichkeit, neben den authentischen Schauplätzen der Krimis auch die unverwechselbaren Stimmungen der einzigartigen Insel aus Feuer und Eis kennen zu lernen. Wechselhaftes Wetter, verbunden mit naturschönen und einsamen Landschaften, sind geradezu prädestiniert für eine Krimi-Kulisse. Wenn zudem im Herbst und frühen Winter das geheimnisvolle Nordlicht am klaren Himmel zu beobachten ist, gilt die Szenerie als perfekt. Das intensive Eintauchen ins Krimi-Ambiente wird ergänzt durch Besuche der bekanntesten Sehenswürdigkeiten. Komplettiert wird diese exklusive Rundreise durch die deutschsprachige Reiseleitung Coletta Bürling. Coletta Bürling hat die Romane von Arnaldur Indridason ins Deutsche übersetzt, lebt seit vielen Jahren auf Island und wird dafür sorgen, dass Ihre Reise “mörderisch” spannend verläuft.

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Coletta Bürling:
Du hast natürlich völlig recht, und mein Titelvorschlag war selbstverständlich „Winterstadt“! Ich hatte wirklich gehofft, dass dieser Roman endlich einmal mit dem Originaltitel erscheinen konnte, aber der Verlag entschied anders. Komischerweise hat es bislang bei jedem Roman ein zähes Hickhack wegen des Titels gegeben. Es sieht aber so aus, als würde „Todesrosen“ als erstes Buch im Isländischen und Deutschen den gleichen Titel tragen dürfen.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Wird Arnaldur auf Island jetzt eher als Krimischriftsteller wahrgenommen oder als "anerkannter" Schriftsteller?

Coletta Bürling:
Dass er jetzt mehr und mehr als renommierter Schriftsteller wahrgenommen wird, lässt sich u.a. daran ablesen, dass „Kältezone“ nach dem Erscheinen in Island für den isländischen Literaturpreis nominiert wurde.

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Im Sommer bist Du Reiseleiterin. Eine willkommene Abwechslung oder reicht der Beruf als Übersetzerin zum Leben auf Island nicht aus?

Coletta Bürling:
Weder Übersetzer noch Reiseleiter werden überbezahlt, um es milde auszudrücken, aber für mich ist dieser Sommerjob vor allem deswegen wichtig, weil ich dabei unter Menschen komme. Das Übersetzen ist ein sehr einsamer Clinch mit dem Compi, und dafür brauche ich dringend einen Ausgleich. Gegen Ende des Winter geht mir sozusagen die Formulierpuste aus, und ich freue mich auf die bevorstehenden Reisen mit netten Menschen in diesem faszinierenden Land, aber am Ende des Sommers kehre ich dann auch wieder sehr gern an meinen Computer zurück.
Übrigens wird ab Herbst ein deutscher Reiseveranstalter eine Reise auf den Spuren von Arnaldur Indriðason anbieten, die das hübsche Motto „Eiskalt erwischt“ trägt, und das bedeutet vielleicht, dass ich dann auch im Winter ein wenig als Reiseleiterin tätig sein kann. (Anmerkung der Redaktion: Neue Reisezeit im Sommer 2008, weitere Informationen in der Informationsbox)

Literaturportal schwedenkrimi.de:
Welchen Autoren/Autorin würdest Du gerne ins Deutschland veröffentlicht sehen?

Coletta Bürling:
Einen Krimiautor kann ich da nicht nennen, aber dafür einen anderen, der ebenfalls zur „witzigen“ Generation nach Laxness gehört, Þórarinn Eldjárn. Er hat einige Romane geschrieben, aber beliebt sind vor allem seine skurrilen Geschichten über menschliches Geschick und Missgeschick, die Schmunzel- und Lachmuskeln arg strapazieren. Ich habe eine ganze Reihe von diesen Geschichten übersetzt und an Verlage geschickt, erhalte aber immer wieder die stereotype Antwort, dass Kurzgeschichten sich nicht verkaufen – was ich außerordentlich seltsam finde, denn schwarzer Humor hat ja gewiss auch in Deutschland seine Liebhaber, und zwar nicht zu knapp.

Autor: Jürgen Ruckh/ Esslingen
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